Märchenhaft – Gedanken eines Bürgers während der
Gemeinderatssitzung im Bürgersaal des Rathauses Weinheim vom 17.07.2013
Es war einmal ein Kaiser, der sich neue Gewänder anfertigen ließ; man machte ihm weis, dass die Kleider nur von Personen gesehen werden können, die ihres Amtes würdig und nicht dumm seien. Aus Eitelkeit gab er nicht zu, dass er die – nicht vorhandenen – Kleider nicht sehen konnte und auch seine Untertanen waren begeistert über die scheinbar schönen Stoffe. Erst ein dummes Kind brachte bei einem Festumzug zum Ausdruck, dass der Kaiser ja nackt sei; jetzt traute sich auch das gemeine Volk, die Nacktheit des Kaisers auszusprechen. Aber der Kaiser setzte den Festzug fort, obwohl auch er jetzt bemerkte, dass er keine Kleider trug.
Es war einmal ein Landesherr, der ein wunderschönes grünes und blühendes Land regierte; seine Untertanen waren fleißige und ehrbare Leute. Völlig uneigennützige Berater machten dem Landesherrn klar, dass das bedrückende Energieproblem ganz einfach und kostengünstig mit Windrädern zu lösen sei, da der Wind ja keine Rechnungen schreibe. Man könnte das Land durch Engel mit drei Flügeln sogar noch verschönern. Der Landesherr hörte auch von anderen wichtigen Staatsträgern, der Strom würde für die Untertanen durch den Bau der Windräder nur höchstens eine Eiskugel mehr im Monat kosten. Also beschloss er ein Gesetz, das alle Gemeinden zur Errichtung von Windrädern verpflichtete.
Die Vertreter des gemeinen Volkes saßen nun zusammen und hielten Rat, wo sie im dicht besiedelten Ort die Windräder bauen sollten; schließlich waren sie ihrem Herrn ja zur unbedingten Gefolgschaft verpflichtet. Sie berieten und berieten, ließen teure Gutachten von gänzlich unabhängigen Fachleuten erstellen, schwitzten im Dienste ihrer Wähler im Hochsommer bei Tageslicht unter mit Glühbirnen bestückten Kronleuchtern, die energiesparend mit mehreren tausend Watt zur Erleuchtung beitragen sollten. Man ließ eine dröge Präsentation zum Thema Klimaschutz über sich ergehen und bedankte sich brav beim völlig uneigennützigen Redner. Die Windgeschwindigkeit, die Natur und auch der Mensch waren kein Thema des „Gutachtens“. Da man offenbar doch nicht ganz von dem Konzept überzeugt war, einigte man sich am Ende immerhin darauf, dass man alles zur Kenntnis genommen hatte.
Als die Windräder nach einiger Zeit nun doch gebaut wurden, stellten die Untertanen erschrocken fest, dass ihr geliebter grüner Wald und die dort lebende Tierwelt vernichtet wurden. Niemand hatte gewagt zu fragen, ob auch genügend Wind vorhanden sei – wer wollte schon dumm sein und sich als Kernkraftbefürworter beschimpfen lassen? Wer den Raubbau an der Natur zur Sprache brachte wurde belehrt, man sei jetzt halt anders grün! Klimaschutz durch Waldvernichtung war jetzt populär.
Nach einiger Zeit erkannte man, dass wirklich zu wenig Wind wehte, um die großen Räder schnell genug zu drehen. Also baute man immer mehr und immer höhere Engel mit immer größeren Flügeln, denn irgendwo gaaaanz oben, wo noch ein letzter Vogel einsam kreiste, musste der Wind doch einfach sein.
Umgeben von riesigen Engeln mit meist schlaffen Flügeln hatte man endlich den Himmel auf Erden. Nur – Eiskugeln konnten jetzt sich immer weniger Menschen leisten!