Der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller – in Fachkreisen auch „Flauten-Franz“ genannt – ließ kürzlich in einer Pressemitteilung erklären „beim Windkraftausbau sei der Knoten geplatzt“. In der Mitteilung und dem eingebetteten youtube-Video jongliert Herr Untersteller derart mit Zahlen, dass einem vor lauter „Knoten platzen“ schwindlig wird. Bei genauer Betrachtung der Aussagen muss einem jedoch eher der Kragen platzen!
Bevor wir uns den zitierten Zahlen widmen, eine kurze Erläuterung einiger wichtiger Fakten.
Landesregierung rechnet mit 1700 Volllaststunden
In ihrem Windenergieerlass setzt sich die grün-rote Landesregierung das Ziel, „bis zum Jahr 2020 mindestens 10 % des Stroms im Land aus heimischer Windenergie bereit zu stellen“ (ob Strombedarf oder Stromerzeugung wird hier übrigens vorsichtshalber offen gelassen). Es sei erforderlich „im Land rund 1200 neue Windenergieanlagen mit einer Leistung von je etwa 3 MW zu errichten. Zusammen mit den bereits jetzt vorhandenen Anlagen wird damit eine Strombereitstellung von etwa 7 TWh pro Jahr ermöglicht“. 3 MW * 1200 Anlagen ergeben 3600 MW neu installierter Leistung plus die im Jahr des Erlasses vorhandene installierte Leistung von 504 MW (siehe Fraunhofer IWES Windenergiereport 2012 Abbildung 6) sind 4104 MW installierter Leistung im Jahr 2020. Um die zum Ziel gesetzten 7 TWh zu kommen nimmt die Landesregierung also an, dass die Anlagen 19,4% der installierten Leistung auch durchschnittlich liefert (7.000.000 MWh / (4104 MW * 24 h/d * 365 d)). Übersetzt sind das 1700 sogenannte Volllaststunden (19,4% * 24 h/d * 365 d).
2014 hatte Baden-Württemberg lediglich 1060 Volllaststunden
Hier liegt ein erster gravierender Annahmefehler. Wie die Daten von 2014 zeigen ist die tatsächlich erzeugte durchschnittliche Leistung viel niedriger. Abbildung 23 des Fraunhofer IWES Windenergiereports 2014 listet für den Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW, dessen Abdeckungsbereich fast deckungsgleich mit der Landesfläche von Baden-Württemberg ist, einen Ertrag von 654 GWh bei einer installierten Leistung von 616 MW auf. Das führt zu einem Verhältnis von tatsächlicher zu installierter Leistung von nur 12,1% (654.000 MWh / (616 MW * 24 h/d * 365 d)), oder 1060 Volllaststunden. Die Grundannahme der Zielsetzung der Landesregierung ist also um 60% zu hoch angesetzt! Dies bedeutet ca. 2.000 neue Anlagen anstatt 1.200, um das Ziel zu erreichen!
Mit diesem Hintergrundwissen wollen wir uns den Aussagen von Herrn Untersteller widmen.
94 Genehmigungen 2014, 2 neue Anlagen im 1. Halbjahr 2015?
Der Minister erwähnt, dass die Genehmigungen für Windkraftanlagen „nach oben gingen und 2014 bei 94 lagen und in diesem Jahr bereits bei 60“. Diese Zahlen lassen sich nicht ohne weiteres überprüfen. Was sich überprüfen lässt sind die tatsächlich gebauten Anlagen.
In Summe – also Neubau minus Abbruch alter Anlagen – hat sich zwischen 2011 und 2014 die Anzahl der Windkraftanlagen in Baden-Württemberg immerhin um 20 erhöht, das entspricht 5 im Jahr… Entsprächen nun die 94 Genehmigungen aus 2014 der Wahrheit so muss man sich fragen, warum im gesamten ersten Halbjahr 2015 nur genau 2 neue Anlagen in Baden-Württemberg ans Netz gingen.
Unterstellers Haushalte brauchen scheinbar weniger Strom….
Untersteller erwähnt, „momentan werden in Baden-Württemberg 121 Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 336 Megawatt errichtet“. Das reiche, „um 200.000 Vier-Personen-Haushalte zu versorgen„. Ob die Zahl 121 der Realität entspricht wird man spätestens im Windenergiereport 2015 sehen. Nimmt man tatsächlich die installierte Gesamtleistung an, dann würden diese Anlagen mit den Ertragswerten von 2014 (12,1% der installierten Leistung) einen Ertrag von 336 MW * 24 h/d * 365 d *12,1% = 356,1 GWh erzeugen. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch eines Vier-Personen-Haushaltes von 4.400 kWh ergäben sich 356.000.000 / 4.400 = 80.942 Haushalte. Untersteller hat sich hier also um 150% verrechnet! Soviel zu der Zuverlässigkeit seines Zahlenjonglierens. (Die Diskussion, ob Windräder überhaupt zuverlässig Haushalte mit Strom versorgen können soll hier nicht geführt werden).
Von Äpfeln und Birnen
Auch einen Seitenhieb auf die Atomkraft verkneift sich Untersteller bei der Erwähnung der 336 MW Nennleistung der angeblich im Bau befindlichen 121 Anlagen nicht: „Beim im Rückbau befindlichen Atomkraftwerk Obrigheim betrug die Leistung 350 Megawatt“. Möchte der Minister etwa suggerieren, 121 Windkraftanlagen könnten einen Reaktorblock ersetzen? Sollte Untersteller einfach „vergessen“ haben, dass die Nennleistung der Windräder nicht gleich der tatsächlichen Leistung entspricht, sondern in Baden-Württemberg 2014 nur bei 12,1% lag? Demnach würden die 121 Anlagen im Schnitt nur ca. 40 MW der 336 MW auch tatsächlich erbringen. Deshalb hinkt der Vergleich mit Obrigheim nicht nur, er ist völlig unangebracht. (Desweiteren sei erwähnt, dass Obrigheim in den 1960er Jahren das achte Kernkraftwerk in Deutschland war und damals das leistungsfähigste. Neuere Kraftwerke wie Philipsburg haben deutlich über 1 GW Nennleistung; um im Schnitt diese Leistung zu erzielen benötigte man weit über 3.000 moderne Windkraftanlagen.)
Prozentrechnen für Anfänger
Zu guter Letzt fabuliert Untersteller dann noch „Wenn man alle bisher gebauten Anlagen plus die bisher geplanten und genehmigten Windräder addiere, komme man auf rund 450 Projekte mit einer Leistung von 1.200 Megawatt. Damit habe die Landesregierung rund die Hälfte des Ziels erreicht.“ Ob die Zahl 450 reines Wunschdenken ist oder sich belegen lässt, ist nur schwer zu ergründen. Fakt ist, dass die grün-rote Landesregierung bislang bilanziell gut 20 neue Anlagen erstellt hat. Und selbst wenn 450 Anlagen gebaut würden, dann sind 1.200 MW nicht die Hälfte des Ziels – nämlich der oben dargestellten 3.600 MW installierter Leistung – sondern nur ein Drittel. Berücksichtigt man die 60% zu hohe Annahme des tatsächlichen Ertrags gegenüber den Werten von 2014 endet man sogar bei nur bei 20% des Ziels… Freuen wir uns also auf die dann noch verbleibenden 1.700 Windkraftanlagen!
Man darf gespannt sein, mit welchen Zahlen Flauten-Franz im nächsten Jahr jongliert und welche Anlagen er bis dahin aus dem Hut zaubert.